Die Prinzipien des Pferdetrainings können uns wertvolle Lektionen über erfolgreiche Führung vermitteln.
Pferde haben komplexe Herdendynamiken und Hierarchien, vielleicht so komplex wie die soziale Dynamik des Menschen. Während in unserer Geschäftswelt Einzelpersonen ohne Einfühlungsvermögen oder Führungsqualitäten aus Versehen zu Managern werden können, ist Führung in einer Herde von Wildpferden eine Frage von Leben und Tod. Wenn die Herde den falschen Anführer wählt, wenn die Pferde einen Anführer wählen, der nicht vertrauenswürdig, konsequent und zuverlässig genug ist, können Leben verloren gehen. Raubtiere können die Herde überraschend angreifen und Mitglieder der Herde können schließlich aufgrund schlechter Führung sterben.
Die Kommunikation zwischen Menschen und Pferden ist sehr komplex, da Menschen hauptsächlich durch Worte kommunizieren, während Pferde hauptsächlich durch Körpersprache kommunizieren. Dennoch gehören Pferde zu den wenigen sozialen Tieren, mit denen der Mensch eine dauerhafte Beziehung aufbauen konnte. Die einfachen Bedürfnisse von Pferden (Sicherheit, Futter, Wasser, Unterschlupf) und ihre fehlende Fähigkeit zu lügen oder “eine Rolle zu spielen” (ihr präfrontaler Kortex ist zu klein, um diese Fähigkeit zu entwickeln) erlauben es Pferdetrainern und Pferdetrainerinnen, einfache Informationen und Konzepte zu sammeln, die auf andere soziale Spezies, wie Hunde und Menschen, angewendet werden können.
Im letzten Jahrzehnt sind Pferdetrainingsmethoden, Herdendynamik und Pferdeverhalten zu beliebten Themen für Forscher geworden. Viele Menschen, die in der Pferdewelt involviert sind erkannten, dass die Fähigkeiten, die man braucht, um ein guter Reiter oder eine gute Reiterin zu sein, fast identisch mit den Fähigkeiten sind, die man braucht, um eine gute Führungskraft zu sein. Kürzlich haben befragte Führungskräfte sogar erklärt, dass die Erfahrung in der Pferdewelt einen positiven Einfluss auf ihr Durchsetzungsvermögen in ihren Geschäftsrollen hatte und geholfen hat, ihr Selbstvertrauen als Führungskraft zu entwickeln.
Führen mit einer festen, unterstützenden Hand, nicht mit einer starken Hand
Der Unterschied zwischen stark und fest ist derselbe Unterschied, den ich zwischen einem wütenden, aufdringlichen “Komm schon!” und einem sanften, entschlossenen “Komm schon!” hören kann. Das eine fühlt sich an wie eine Hand, die mich so stark drängt, dass ich lieber zurückstoße. Das andere fühlt sich an wie eine unterstützende Hand auf meinem Rücken, die mir in Zeiten hilft, in denen ich einfach umkehren oder aufgeben möchte.
Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich einen Kraftkampf mit meinem Pferd nie gewinnen werde. Meine erste Stute Heidemelodie maß 1,72 Meter an der Schulter und wog mehr als 600 Kilo. Ich wusste: Je mehr ich ziehe, desto stärker kann und wird sie zurückziehen. Je mehr ich drücke, desto mehr wird sie ihr Gewicht gegen mich einsetzen. Wenn ich meine Forderungen in Vorschläge umwandle, wenn ich meine Bitte abschwäche und Geduld behalte, können wir in die gleiche Richtung gehen, ohne dass ich Kraft brauche. Ich behaupte nicht, dass es für einen Menschen einfach ist, nicht auf Kraft zu setzen, aber ich behaupte, dass Kraft nicht immer die richtige Antwort ist.
Du kannst es mit einem kleinen Experiment versuchen. Bitte jemanden, dich von dir lenken zu lassen, indem du ihn an den Schultern festhältst und in die von dir gewünschte Richtung schiebst. Beginne mit viel Kraft und schiebe ihn oder sie konsequent in die von dir gewählte Richtung, wobei du deine Hände auf dem Rücken der Person hältst. Spüre, mit wie viel Widerstand die Person gegen dich drückt, spüre, wie viel Kraft du aufwenden musst, um sie in die von dir gewählte Richtung zu lenken. Versuche nun erneut, dieselbe Person nur mit einem sanften Druck auf den Rücken zu lenken. Übe wieder einen gleichmäßigen sanften Druck aus und halten dabei deine Hand auf dem Rücken der Person.
Wie viel Widerstand gibt es jetzt?

Weniger ist mehr
Wenn es um das Training von Pferden geht, kann der Prozess für Zuschauende ziemlich langweilig aussehen. Wenn ich etwas von meinem Pferd möchte, frage ich sanft danach, und dann warte ich einfach auf die richtige Antwort.
Wenn ich das Pferd dazu bringe, es zu tun, indem ich jeden Aspekt davon kontrolliere, wird das Pferd es tun, aber es wird nicht lernen, es unabhängig vom ersten Hinweis zu tun. Pferde sind sehr gut darin, sanfte Hinweise aufzunehmen, wenn wir sie lassen.
Durch das Pferdetraining habe ich erkannt, dass ich dazu neige, zu viel zu tun, zu laut zu fragen. Ich habe gelernt, dass meine Energie sehr hoch sein kann und Pferde oder Menschen überwältigen kann. Obwohl ich meine Persönlichkeit nicht ändern möchte, habe ich gelernt, dass ich manchmal achtsam sein muss, aufhören muss zu sprechen (oder etwas zu tun) und jemand anderem Platz lassen muss, um seine Gefühle und Meinung auszudrücken.

Die Kontrolle aufgeben
Ich kann als ziemlicher Kontrollfreak gelten, und die Kontrolle aufzugeben macht mir eine Heidenangst. Aber die Wahrheit ist, dass kein Mensch ein 600 Kilo schweres Tier kontrollieren kann. Pferde müssen die Antworten lernen, ohne dass man ihnen ständig aufzwingt, was die richtige Antwort ist. Und sie schaffen das.
Ich glaube, dass auch eine Führungskraft ihre Leute nicht ständig kontrollieren kann. Laut Forschungen sinken die Leistung der Menschen und die Qualität ihrer Arbeit unter überwältigender Kontrolle.
“Du musst lernen, loszulassen. Lass den Stress los. Du hattest sowieso nie die Kontrolle.” – Steve Maraboli
Ich habe nach jahrelangem Kampf und „Widersetzlichkeiten“ bei meine Stute das Gebiss weggelassen und hab sie quasi im Halfter geritten. Ich habe über einen langen Prozess hinweg gelernt loszulassen und nicht zu klemmen. Sie war ein anderes Pferd. Tiefenentspannt. Sie hat gelernt selbst zu laufen, wo sie vorher über jeden Randstein gestolpert ist. Ich hab ihr Freiheit gegeben und hab Vertrauen geerntet.

Vertrauen geht in beide Richtungen
Vor mehr als 10 Jahren zog ich mir einen Riss im Becken zu, als ich von einem Pferd fiel. Dem Pferd wurde von einem anwesenden Trainer mit Gewalt etwas aufgezwungen, was es nicht machen wollte. Das Resultat war ein Aufenthalt im Spital und ich spür den Schmarren heute noch. Aufgrund dieser früheren Verletzung hatte ich eine Menge Angst vor dem Reiten und vor anderen Dingen. Ich habe gesehen, wie stark und schnell die Reaktion eines Pferdes sein kann und ich habe auch das Vertrauen in mein eigenes Pferd verloren.
Ich hab Monate gebraucht bis ich – zugegebenermaßen unter Tränen – wieder auf ein Pferd gesessen bin. Danach war die Blockade schlagartig weg.
Seit ich meinen Weg als Pferdetrainerin begonnen habe, war jedoch alles, was ich jemals wollte, dass mein eigenes Pferd mir vertraut. Vertrauen ist das wertvollste Geschenk, das man geben und empfangen kann. Aber es ist auch das wertvollste Geschenk, das ich geben kann, und ich weiß, wie selten ich es gebe.
So ist es auch mit deinen Mitarbeitenden. Das größte Geschenk, das du ihnen geben kannst ist Vertrauen.
Würdest du jemandem vertrauen, wenn du das Gefühl hast, dass er dir überhaupt nicht vertraut?

Dein Glück sollte von niemandem abhängen
Uff. Das hat mich Jahre gekostet – und ich muss es mir immer wieder neu eintrichtern.
Zu Beginn meiner Reise im Pferdetraining war mein Glück extrem von meinem Pferd abhängig. Wenn meine Stute während einer Trainingseinheit spukte oder nicht gut reagierte, war ich für den Rest des Tages unglücklich. Das setzte mich und mein Pferd zu sehr unter Druck, da ich wusste, dass ich mich schrecklich fühlen würde, wenn meine Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Nach dieser Erkenntnis hörte ich jemanden zu einem anderen Reiter sagen: “Dein Glück sollte nicht von deinem Pferd abhängen.“ Da ist mir ein Licht 💡 aufgegangen. Das nahm soviel Druck von uns weg und mein Pferd wurde zu meinem Hobby, zu meinem Ausgleich und nicht mehr zu meinem Erfolgsprojekt.
Diese neue Denke brachte mir auch in anderen Bereichen viel mehr Leichtigkeit. Dasselbe gilt für Beziehungen. DEIN Glück ist DEINE Sache. Wenn du es mit jemandem teilen kannst – umso besser. Aber diese Person ist nicht verantwortlich dafür. Sondern du alleine. Auch als Führungskraft ist dein Team nicht dazu da, dich glücklich zu machen. Ermögliche deinem Team Erfolge und arbeitet gemeinsam am Glücksgefühl.

Belohne und erkenne jede Anstrengung an
Pferde, Menschen und so ziemlich alle Tiere auf der Welt lernen durch Belohnungen. Eine Belohnung ist nicht per se finanziell oder Futter. Es kann ein Lächeln, ein “Danke” oder die einfache Tatsache sein, in Ruhe gelassen zu werden. Wenn Pferde Herausforderungen oder schwierige Situationen erleben, ist es entscheidend, jeden winzigen Schritt in die richtige Richtung zu belohnen.
Es ist nicht überraschend, dass Belohnungen und Anerkennung einen erheblichen Einfluss auf die Leistung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden haben. Während extrinsische Belohnungen (z.B. Gehalt, Boni) oft als erstes in den Sinn kommen, hat intrinsische Belohnung (z.B. positives Feedback oder Lob) nachweislich einen starken positiven Effekt auf das Selbstvertrauen, die Motivation und den Fokus der Mitarbeitenden.
An dieser Stelle kommt wieder die ID37 mit ins Spiel – das Motiv der sozialen Anerkennung. Pferdetraining, Persönlichkeitsentwicklung von Menschen und Retreat Spaces ergeben ein großes Ganzes. Ich hab gelernt es wunderbar zu verbinden und meinen Kundinnen und Kunden einen unschlagbaren Mehrwert zu bieten.
“Ein mutiger Mensch erkennt die Stärke der anderen an.” – Veronica Roth

Passive Führung bedeutet nicht schwache Führung
Ich befasse mich mit verschiedenen Leadership Konzepten. Als Pferdetrainerin und -besitzerin ist “Passive Leadership” ein Konzept, das ich sehr schätze. Allerdings haben nur wenige Pferdetrainer*innen und noch weniger Unternehmensführer*innen damit experimentiert. Ich warte manchmal einfach ab, lass sie alles falsch machen, ohne zu reagieren. Ich reagiere erst, wenn es richtig gemacht wurde. Bleib einfach stehen und lass dich nicht aus der Ruhe bringen.
Passivität darf nicht als Synonym für Schwäche angesehen werden, wenn es um Führung geht. Passiv zu sein erfordert sehr viel Selbstbeherrschung, Kraft und Vertrauen, um “loslassen” zu können. Es ist leicht, die Arbeit aller ständig zu kontrollieren. Aber es ist nicht immer leicht Fehler mitanzusehen.
Dieses Konzept hat mich einerseits in meiner Trainingstätigkeit sehr beeinflusst. Lass die Teilnehmenden Fehler machen. Sehenden Auges. Lass sie Fehler machen und hilf ihnen, diese zu reflektieren.
Andererseits hat mich dieses Konzept in meiner eigenen Führungsrolle beeinflusst. Es ist mir bewusst, dass manche meiner Mitarbeitenden sich an verschiedenen Stellen mehr Führung gewünscht hätten. Aber – und das anfangs zu meiner Überraschung – kommen meine früheren Mitarbeitenden auf mich heute zu und sagen: “Stefanie, mit dir war es so schön, weil du uns so viel Entfaltungsmöglichkeiten gegeben hast.”
Das Schwierigste ist, den Menschen, denen man Freiheit gibt, nicht im Weg zu stehen.
sehr interessant.Annegret
Danke 🙂